Freiwillige vor, Brigadistas adios?

Liebe Freunde,

meine Zeit hier neigt sich dem Ende zu, hier meine wohl vorletzte kurze Zusammenfassung:

Vor 25 Jahren, nur wenige Jahre nach meinem Einstieg in den Beruf, war ich mit der DGB Jugend Frankfurt zu einem Brigadeaufenthalt in Granada, der alten Kolonialstadt am Nicaragua-See. Ziel war die „cartonera“ und der Aufbau einer Recycling Fabrik für Papier und Pappe. Untergebracht in Familien, den Tag zusammen im Betrieb mit nicaraguanischen Kollegen, abends auf Besuch bei Organisationen oder Versammlungen auf der Suche nach der Revolution und dem Sinn des Ganzen, am Wochenende ein Ausflug ans Meer, oder einfach nur unterwegs in der Stadt und am See.

Geboten war in der Stadt wenig, Tourismus gab es noch kaum, abends waren die Läden verrammelt, zu kaufen gab es eh wenig und die Lokale konnte man an einer Hand abzählen, wenn man von den wenigen teuren Hotels, die natürlich Tabu waren, absieht. Aber man kam sich näher, es wurde viel diskutiert, mit dürftigem Spanisch zwar, aber man war froh, wenn ein Gespräch über die Qualität des Bieres hinaus, zustande kam. Natürlich stand die politische Situation im Vordergrund, der Contra-Krieg, die schlechte Versorgungslage, die anstehenden Wahlen.

Welch ein Wandel zu heutigen Bild. Die Stadt quillt über von Touristen meist aus den USA, aber auch aus Europa. Die alten Kolonialbauten im Zentrum sind renoviert, ein Café reiht sich ans andere, die Hauptstraße zur Fußgängerzone mit Kneipen im Freien umgestaltet. Hilfsorganisationen und Kulturprojekte wie die „Casa tres mundos“ sind hier stark vertreten. Straßenverkäufer und Musiker belagern die Touristen, Mangel und Hunger scheinen weit weg in diesem quirligem Treiben.

Die Preise sind für die Einheimischen jedoch unbezahlbar, ein Abendessen mit Getränk kostet schnell umgerechnet 10 Dollar, für einen durchschnittlichen Verdiener sind vielleicht 60-80 Cordoba (2-3 Dollar) denkbar. Die Gebäudepreise sind ins Astronomische gestiegen. Die Anzahl der Hospedajes, Hostals und Hotels sind unübersehbar und die Angebote reichen von 8 Dollar bis 200 Dollar oder mehr die Nacht. Busse scheffeln Touristen heran, der See die Isletas und die Vulkane sind nicht weit. American English dominiert die Unterhaltungen in den Straßen, ab und zu ein Spanisch mit starkem Einschlag. Die Einheimischen blicken kaum auf, wenn ein Chele grüßt. Haben wir das gewollt?

Die Armut beginnt schon auf dem nahen Markt, auf den frühmorgens die Menschen aus der Umgebung ihr Gemüse bringen. Hier spricht man noch spanisch. Das Angebot ist inzwischen riesig, die Nachfrage bescheiden. Zu viel Konkurrenz und zu wenig Geld in den Taschen, schmälern die möglichen Einnahmen, die kleinen Händler haben auch hier das Nachsehen, Supermärkte für die Mittelschicht machen Konkurrenz.

Junge Volontäre von la esperanza Granada

Am nächsten Tag besuche ich mit Donald einige der Schulen mit denen La Esperanza, eine Organisation, die sich die Unterstützung einiger besonders bedürftiger Primarschulen auf die Fahnen geschrieben hat, kooperiert. Sie finanzieren ihre Arbeit über Spenden, meist ehemaliger Freiwilliger aus den USA und Kanada, aber auch aus ganz Europa. Am Vorabend haben wir eine Versammlung dieser Volontäre besucht, die hier als Co- oder Unterstützungslehrkräfte eingesetzt sind. Sie stellen sich meist auf Englisch vor, einige beschreiben welche Probleme sie in den Schulklassen vorfinden. Alle sind entsetzt über das niedrige Lese- und Schreibniveau in der Primaria. Eine junge Belgierin stellt in perfektem Spanisch Lernspiele vor, um den stereotypen Unterricht aufzulockern und dem Bewegungsdrang der Kinder Rechnung zu tragen. Etliche der jungen Volontäre schauen etwas ratlos.

In den Schulen begrüßen mich die Verantwortlichen freundschaftlich, als sie hören dass ich ein Kollege bin, der mit "Kindern unterschiedlicher Begabungen" arbeitet (Ninos de capacidades diferentes) entwickeln sich unerwartet interessierte Gespräche und Nachfragen. Außerhalb Granadas nach einer Fahrt durch Siedlungen mit Wellblechhütten begrüßt mich der Schulleiter Jose Aviles und stellt mir die zwei Klassenräume der Schule „Salomon de la selva“ vor. Weil die Kollegin auf der Fortbildung ist unterrichtet er gerade alle sechs Jahrgangsstufen die in zwei „multigrados“ zusammengefasst werden alleine. „Die Volontäre sind heute mit einzelnen Kindern zur Zahnvorsorgeuntersuchung in die Stadt“, meint er entschuldigend und nimmt sich dennoch Zeit! In der Schule „La Esperanza“ üben die Volontäre gerade Addition mit einem Lernprogramm. Die begehrten Rechner werden abwechselnd den vier betreuten Schulen eingesetzt zu werden. Dass das Programm keinen Mengenbegriff vermitteln kann, dürfte ihnen kaum aufgefallen sein, allerdings gibt es in einem anderen Klassenzimmer selbst gestaltete Tische mit Zahl- und Mengenverbindungen.

Flugzeug im Klassenzimmer

Im Klassenzimmer der vierten Jahrgangstufe hängt ein riesiges Flugzeug aus Pappe, ebenfalls von einem Volontär mit den Kindern gebastelt. Die Lehrerin fragt mich, wie lange ich in Granada bleibe. „Nicht mehr lange, nächsten Mittwoch geht es nach Hause“, antworte ich, „..und ist noch Platz im Flieger? Wir fliegen mit!“ entgegnet sie unter dem Jubel der Kinder.

Schnell sind wir wieder zurück in der ganz anderen Welt Granadas und auch ich fliehe vor diesen unvereinbaren Gegensätzen und Widersprüchen, die sich da auftun. Vielleicht bringen sie ja den einen, oder die anderen Freiwilligen zum Nachdenken?

Herzlichst

Heinz