Absolutes Abtreibungsverbot besteht weiter

(aus Nicaragua Aktuell Dezember 2007)

Der 13. September war ein schwarzer Tag für die Frauen- und Menschenrechtsorganisationen in Nicaragua. Trotz der monatelangen Proteste, Unterschriftensammlungen und Kampagnen für Frauen in Nicaragua - zwischen Idealisierung und Entmündigung die Straffreiheit des therapeutischen Schwangerschaftsabbruchs bestätigte das Parlament das seit knapp einem Jahr geltende absolute Abtreibungsverbot.

Nach dem vom Parlament verabschiedeten neuen Strafgesetzbuch drohen dem medizinischen Personal bei Abtreibungen ein bis drei Jahre Haft, während Frauen, die abtreiben, mit bis zu zwei Jahren Gefängnis rechnen müssen. Das gilt auch dann, wenn der Schwangerschaftsabbruch das Leben der werdenden Mutter retten würde. Diesem Beschluss stimmten die Fraktionen der linksgerichteten sandinistischen Regierungspartei (FSLN) und der liberalkonservativen Oppositionsparteien (ALN und PLC) zu. Lediglich drei Abgeordnete der sozialdemokratischen “Bewegung zur Erneuerung des Sandinismus” votierten dagegen. Wenige Tage zuvor hatte die Bischofskonferenz das Parlament ermahnt, das Abtreibungsverbot beizubehalten.

Bereits im Oktober 2006 – mitten im Wahlkampf – war die zuvor seit über 100 Jahren bestehende Straffreiheit eines Schwangerschaftsabbruchs bei medizinischer Indikation abgeschafft worden. Vorausgegangen war eine Annäherung des ehemaligen Revolutionärs Daniel Ortega an hochrangige Vertreter der katholischen Kirche. Nicaragua ist einer der ganz wenigen Staaten weltweit, die keine Ausnahme vom Abtreibungsverbot kennen. Neben Nicaragua sind dies El Salvador, Chile und Malta.

Protestdemonstration von Frauen

Frauenorganisationen befürchten eine Zunahme der heimlichen Abtreibungen unter unhygienischen Bedingungen. Sie werfen den Abgeordneten vor, sowohl die Empfehlungen der Ärzteverbände als auch die Argumente der Frauenorganisationen ignoriert und ihren Mangel an Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten sowie ihre vollständige Unterordnung unter die katholische Kirchenhierarchie dokumentiert zu haben.

Offiziellen Zahlen zufolge starben „nur“ 64 Frauen bislang an den Folgen von Schwangerschaftskomplikationen – eine Anzahl die nach Auffassung der Bischöfe „nicht nennenswert“ ist. Nicaraguanische Frauenorganisationen weisen jedoch darauf hin, dass die tatsächliche Zahl noch wesentlich höher liegt, da schwangere Frauen und Mädchen, die aus Verzweiflung Selbstmord begangen haben, offiziell nicht mitgezählt wurden. Es wurden verschiedene Fälle von schwangeren Mädchen bekannt, die sich mit Pestiziden oder anderen giftigen Substanzen das Leben nahmen. Eine weitere Folge des Abtreibungsverbots ist, dass Schwangere bei Komplikationen häufig Arztbesuche scheuen, aus Angst, einer Abtreibung bezichtigt zu werden.

Untersuchung zur Situation der Frauen

Die Frauenorganisation AMNLAE hat in den vergangenen Jahren eine Studie zur Situation der Frauen durchgeführt und eine „Nationale Agenda zur Prävention, Beachtung und Verfolgung sexueller Gewalt“ vorgelegt, in der sie konkrete politische Maßnahmen und Programme zur Bekämpfung sexueller Gewalt und zur Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter fordert. Die Bestandsaufnahme der Frauensituation in Nicaragua liest sich dramatisch:

• Über 30% der Mädchen unter 12 Jahren werden Opfer von sexuellem Missbrauch, die Täter kommen häufig aus der Familie oder dem Bekanntenkreis.
• Nur 40% der Fälle werden angezeigt
• Obgleich in vielen Polizeistationen eine Abteilung für Frauen und Mädchen eingerichtet wurde, ist es vielfach nicht möglich, sexuelle Gewalt strafrechtlich zu verfolgen, da andere staatliche Stellen ihrer Verantwortung nicht nachkommen.
• Aufgrund eines mangelhaften Zugangs zu Gesundheitseinrichtungen zählen sowohl die Müttersterblichkeitsrate als auch die Kindersterblichkeitsrate zu den höchsten in Lateinamerika.
• mit 15 Geburten pro 100 Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren ist Nicaragua eines der Länder mit der höchsten Zahl an Teenagerschwangerschaften in Lateinamerika.

Trotz des schweren Rückschlags, den das totale Abtreibungsverbot bedeutet, betrachtet AMNLAE den Wahlsieg der FSLN weiterhin als Chance, ihre Forderungen umzusetzen und eine stärkere Berücksichtigung ihrer Belange zu erreichen.

Das Frauenzentrum in El Viejo

Trotz der insgesamt immer noch schlechten Situation der Frauen und Mädchen, insbesondere in Bezug auf sexuelle Gewalt, ziehen die Mitarbeiterinnen des Frauenzentrums von El Viejo eine positive Bilanz ihrer Arbeit. Sie registrieren ein gestiegenes Selbstbewusstsein, gerade bei jüngeren Frauen, ein wachsendes Bewusstsein für die eigenen Rechte und eine zunehmende Bereitschaft, sich gegen sexuelle Gewalt zu wehren und Straftaten auch juristisch zu verfolgen.

Eunice Villalobos, die Leiterin des Frauenzentrums

Seit vielen Jahren führt das Frauenzentrum Kurse und Informationsveranstaltungen durch, um Aufklärungsarbeit zu leisten und dadurch die rechtliche, gesundheitliche und gesellschaftliche Situation der Frauen zu verbessern. Neben Kursen für Schwangere und junge Mütter finden Vorträge zu Kinder- und Jugendrecht, familiärer Gewalt, Verhütung, Aufklärung, AIDS-Prävention usw. statt. Eine Selbsthilfegruppe für von Gewalt betroffene Frauen wurde im letzten Jahr initiiert und wird seitdem von der Psychologin des Frauenzentrums unterstützt.

Im letzten Jahr richtete das Frauenzentrum eine Vorschule ein, um vor allem berufstätigen Müttern eine Kinderbetreuung anzubieten. Bislang nehmen 12 Kinder teil, für das nächste Jahr ist die Einrichtung einer zweiten Gruppe geplant. Daneben werden Näh-, Back-, Kosmetik- und Schreibmaschinenkurse angeboten, um Frauen eine berufliche Perspektive zu eröffnen. Ein wichtiger Arbeitsbereich des Frauenzentrums wird vom Nicaragua-Forum Heidelberg finanziert:
• Eine Rechtsanwältin bietet Rechtsberatung für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden oder aus anderen Gründen rechtliche Unterstützung benötigen.
• Eine Gynäkologin bietet Sprechstunden für Frauen an, die sich den Besuch einer normalen Arztpraxis nicht leisten können.
• Eine Psychologin kümmert sich um Opfer familiärer Gewalt, aber auch um Jugendliche mit Alkohol- oder Drogenproblemen und um Kinder mit Lernschwierigkeiten.
• Die Leiterin der Frauenzentrums übernimmt vielfältige Organisationstätigkeiten.

Die Gehälter dieser vier Frauen werden über das Nicaragua-Forum Heidelberg bezahlt.

Für die Unterstützung des Frauenzentrums in El Viejo bitten wir Sie um ihre Unterstützung.
Bankverbindung:
Nicaragua-Forum Heidelberg | Konto Nr. 1517732
Bezirkssparkasse Heidelberg | BLZ: 672 500 20
Stichwort: Frauenzentrum