Ein halbes Jahr als Freiwillige bei Los Pipitos

(aus Nicaragua Aktuell Juli 2008)

Mein Name ist Franziska Taube, ich bin 24 Jahre alt und studiere im 5. Jahr Humanmedizin an der TU Dresden. Seit langem hatte ich den Wunsch, mein Medizinstudium zu unterbrechen, um im spanischen oder lateinamerikanischen Ausland Sprache und Kultur im Rahmen eines freiwilligen Projektes kennen zu lernen. Bei der Fülle von Angeboten im Internet stieß ich auch auf das Nicaragua-Forum in Heidelberg, bei dem besonders das von ihnen unterstützte Projekt Los Pipitos in Somoto/Nicaragua mein Interesse weckte, da es die Möglichkeit bot, sowohl im sozialen als auch im medizinischen Bereich tätig zu sein. Nach weiteren Recherchen über Aufbau und Idee dieses Selbsthilfevereins von Eltern behinderter Kinder und einem Besuch bei Heinz Reinke, dem Betreuer des Projektes, nahm ich das Angebot des Heidelberger Vereins zu einer halbjährigen Freiwilligenarbeit in Somoto an. Im September 2007 machte ich mich auf die lange Reise, innerlich mit einer Mischung aus Neugier, Spannung, aber auch Nervosität...

Franzisca Taube mit Milagros, einem der Kinder bei Los Pipitos

In Somoto angekommen, wurde ich herzlich empfangen, und zu meiner Freude hatten sich die Mitarbeiter schon einige Gedanken über meinen Aufenthalt gemacht. Wohnen konnte ich in der Familie von Matilde Garcia, die damals noch Vereinspräsidentin war und gleichzeitig Mutter einer taubstummen Tochter ist. Außerdem lernte ich bald den Verein und seine Mitarbeiter kennen, darunter auch die Ärztin (Spezialisierung: Psychiatrie), die mich noch in der ersten Woche im Silais (Gesundheitsamt) und bei der Klinikleitung des örtlichen Krankenhauses vorstellte. Mein Tagesablauf gestaltete sich folgendermaßen: vormittags von 7 bis 12 Uhr Praktikum im Krankenhaus, wo ich nacheinander auf 3 verschiedenen Stationen (Chirurgie, Kinderheilkunde, Gynäkologie/Geburtshilfe) tätig war, und nachmittags von 14 bis 19 Uhr die Arbeit im Verein von Los Pipitos.

Dieser ist in Somoto dank finanzieller Unterstützung aus Heidelberg und Kalifornien gut organisiert. Seit 2005 gibt es ein neues Vereinshaus, außerdem werden die Gehälter der Vereinsleitung, Physiotherapeutin, Ärztin und anderer Angestellter (Putzfrau, Hausmeister usw.) von den beiden Stiftungen getragen. Die Physiotherapeutin ist ganztägig beschäftigt, um zusammen mit den Eltern individuell mögliche Übungen für ihre Kinder zu erarbeiten. Dem Verein wurden hierfür verschiedene therapeutische Geräte finanziert. Die Ärztin hält ihre Sprechstunde jeden Nachmittag und hat monatlich ein von Heidelberg getragenes Kontingent der wichtigsten Medikamente zur Verfügung, die sie den Familien kostenlos verschreiben kann. Auch andere Materialien sowie Zahlungen für Strom, Telefon und Wasser können allein durch Unterstützung aus dem Ausland aufgebracht werden, da keine staatlichen Fördermittel für soziale Einrichtungen dieser Art in Nicaragua existieren.

Verwirklicht werden konnte so ein zweimal die Woche stattfindender Unterricht für taubstumme Kinder, die meist in Begleitung eines Familienmitglieds die Zeichensprache erlernen, sowie eine Art Vor- oder Spezialschule, an der Kinder verschiedener Behinderung (Trisomie, Cerebralparese u.a.) teilnehmen und die Anfänge des Schreibens lernen oder malen. An all diesen Aktivitäten nahm auch ich täglich teil, gestaltete sie mit und lernte bald die betreuten Kinder kennen, mit all ihren individuellen Fähigkeiten, Einschränkungen, Ansprüchen und Interessen. In für mich vorher ganz unbekannte Bereiche wie Zeichensprache und Reittherapie konnte ich mich ebenfalls mit der Zeit einarbeiten.

Da Los Pipitos aber nicht nur Familien in Somoto, sondern auch in der weiteren Umgebung betreut, lag ein anderer Schwerpunkt meiner Arbeit im Besuch dieser ländlichen Gebiete, wo ich mit der Ärztin und der Physiotherapeutin in Räumen der Gesundheitszentren Sprechstunde hielt. Außerdem wurden die Eltern bei solchen Ausflügen über Fortbildungen informiert, in der Arbeit mit ihren Kindern unterstützt und vor allem motiviert. Gerade der letzte Punkt, der von den Promotoren Cisely und Wilfredo und von der Präsidentin Matilde übernommen wurde, fiel mir als besonders wichtig und notwendig auf, denn einige Eltern nehmen nur sehr unregelmäßig an den Veranstaltungen teil. Das lässt sich wohl dadurch erklären, dass viele nicaraguanische Familien am Existenzminimum leben, im Durchschnitt 5 Kinder haben und teils in Gegenden wohnen, die nur mit allradbetriebenen Fahrzeugen oder zu Fuß erreichbar sind. Der Verein versucht hier gegenzusteuern, übernimmt Fahrtkosten, teilt zu Infoveranstaltungen und Weiterbildungen Getränke und Gebäck aus und führt wieder und wieder motivierende Gespräche. Um die finanzielle Situation der Familien zu verbessern, versucht Los Pipitos außerdem, den Familienangehörigen Arbeitsstellen, z.B. als Hausangestellte, zu vermitteln.

Zu Besuch bei der Familie von Dagoberto

Das Fazit meines Aufenthalts in Nicaragua ist sehr positiv, die Wärme, die mir entgegengebracht wurde, ist kaum zu beschreiben, und das Interesse sowie die Bereitschaft, mich zu integrieren, haben meine Eingewöhnung in diesem fremden Land sehr erleichtert. Persönlich und auch fachlich hat mich die Zeit sehr geprägt, wobei ich denke, dass ein Aufenthalt über ein ganzes Jahr noch sinnvoller gewesen wäre. Der Abschied fiel mir unglaublich schwer, und noch jetzt bin ich in Gedanken oft in Nicaragua. Dem Nicaragua-Forum in Heidelberg und Heinz Reinke möchte ich für ihre Unterstützung einen besonderen Dank aussprechen. (ft)

Todo cambia – alles ändert sich!

Wie zerbrechlich auch lange gewachsene Strukturen wie die von Los Pipitos in Somoto sind und wie stark der ökonomische Druck auf die Menschen geworden ist, zeigt eine wichtige Veränderung in der Leitung der Elternorganisation.

Nach über zehn Jahren als Präsidentin und zuletzt als „Administradora“ der lokalen Sektion verlässt M. Nicaragua, um in Spanien eine Arbeitsstelle auf Zeit zu suchen. Sie reiht sich damit ein in die lange Schlange der Zentralamerikaner (über 20%), die ihre Länder auf der Suche nach einem Einkommen, das die Familien über Wasser halten kann, verlassen.

Auch das deutlich erhöhte Gehalt für M. von 225 Dollar (eine Grundschullehrerin bekommt derzeit 135 Dollar) reichte nicht aus, um ihrer gehörlosen Tochter Blanca ein Studium an der Universität in Esteli zu ermöglichen. Um das Studium erfolgreich zu bestehen, benötigt sie eine Dolmetscherin, um den Lehrstoff in Gebärdensprache aufzunehmen. Dies wird ihre Freundin, die denselben Studiengang im Bereich Wirtschaft und Verwaltung einschlagen will, für sie übernehmen. Da diese aus ärmsten Verhältnissen kommt, muss die Familie deren Studium mitfinanzieren.

Equipo von Los Pipitos

M. macht sich schweren Herzens und mit bangen Gefühlen auf den Weg nach Spanien, um dort, wie so viele Frauen aus Nicaragua, in der Altenpflege zu arbeiten. Sie rechnet mit einem Gehalt um die 900 Dollar, einem Gehalt, das sie in Nicaragua nie erzielen könnte. Doch M. wäre nicht M., würde sie ihre Arbeit auf die eigene Familie begrenzen. Sie schreibt: “Ihr könnt darauf vertrauen, dass ich nach zwei Jahren in Spanien mich aufs Neue in die Arbeit von Los Pipitos einbringen werde. Auch in Spanien werde ich nicht ruhen, weitere Unterstützung für unsere Organisation zu suchen“.

Der Wechsel von M. zu Cisely Estrada in der Leitung der Elternorganisation wurde lange vorbereitet und ist inzwischen vollzogen. Die Einstellung eines neuen Promotors, der mit den Familien arbeiten soll, wird derzeit vollzogen. Auch eine Schreibkraft wird als Teilzeitkraft eingestellt, um die Arbeit besser zu verteilen. Cisely wünschen wir die Energie und die glückliche Hand, die es braucht, die weitere Arbeit mit den Familien zu organisieren.

Der Verlust der letzten Ernte und die dramatisch gestiegenen Lebensmittelpreise lassen den Anteil der Menschen, die unter extremer Armut leiden, weiter steigen. Dies wird die Arbeit mit und für die Eltern nicht erleichtern. (hr)


Für die Finanzierung der Arbeit von Los Pipitos in Somoto bitten wir Sie um ihre Unterstützung.
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Stichwort: Los Pipitos