Meldungen aus Nicaragua vom 03.05.2004
Ortega fordert Arbeiter dazu auf, dem "Neoliberalismus zu widerstehen"
Der Generalsekretär der FSLN, Daniel Ortega, schickte von seinem derzeitigen Besuch auf Cuba eine Nachricht an die TeilnehmerInnen der Demonstration zum 1.Mai, die sich am Fuß der massiven goldenen Statue im Herzen von Managua trafen, die dem unbekannten Arbeiter gewidmet ist. Auf dem Fuß der Statue ist eine auf Sandino zurückgeführte Aussage zu lesen: "Nur die Arbeiter und Bauern halten bis zum Schluss durch". An dieser Stelle versammelten sich etwa eintausend Personen, Mitglieder von Gewerkschaften und zu Verbänden gehörende Arbeiter und hörten der Verlesung einer der feurigsten Erklärungen des früheren Guerilla-Führers in den letzten Jahren zu. Darin griff Ortega die Vereinigten Staaten direkt an mit der Aussage: "ich sende Ihnen diese Nachricht von Havanna aus, der Hauptstadt der stets heldenhaften sozialistischen Republik von Cuba, zusammen mit Fidel und seinen Leuten. Wir gedenken an diesem Internationalen Tag der Arbeiter jener Arbeiter, die heute Opfer der ökonomischen, wirtschaftlichen und ökologischen Zerstörungen sind, Opfer der faschistischen Interessen der Yankeeregierungen".
Vielleicht machte es seine physische Abwesenheit aus - am 1. Mai wurde er vermisst. In Ortegas Beitrag hieß es weiter: "Die Menschen erheben sich und schlagen gegen den feigen Völkermord durch das Imperium zurück: im Irak; in den palästinensischen Gebieten; in Afghanistan, wo im Namen der Demokratie dieses Imperium Millionen von Dollars ausgibt, um Teile der Bevölkerungen auszurotten, auf eine vergleichbare Weise wie die Faschisten vom zweiten Weltkrieg." Ortega betonte, der Irak, Afghanistan, Cuba und Venezuela würden "sich nicht ergeben. Lieber kämpfen sie weiter", fuhr er fort, "und sie werden gewinnen, genau so wie einst Cuba die Batista-Diktatur zu Fall brachte und weiterhin trotz der Blockade und der feigen Angriffe des Imperiums mit seinen bezahlten Anhängern voranzukommt".
Der Sandinistische Führer prangerte auch die grausamen Bedingungen an, mit denen die nicaraguanischen Arbeiter gegenwärtig konfrontiert werden. Er sagte, dass diese Wirtschaftspolitik dem Land durch den Neo- Liberalismus auferlegt wurde. "Nicaragua", sagte er, "wurde in den 14 Jahren, die seit 1990 vergangen sind, die Last des neo-liberalen Modells aufgezwungen. Dadurch hat sich die Arbeitslosigkeit multipliziert; der Hunger hat sich multipliziert; Lüge und Täuschung haben sich multipliziert; die soziale Zerstörung und die Korruption der Regierung haben sich multipliziert."
Ortegas Botschaft wurde von dem sandinistischen Abgeordneten und Parteisprecher Roberto Gonzalez verlesen, der hervorhob, dass Ortega alle Arbeiter dazu aufrief, dem Neoliberalismus zu widerstehen, wo und wann immer sie könnten. Studenten, Mitglieder von Gewerkschaften, Vertreter der Nemagon-geschädigten Bananenarbeiter und der Arbeiter aus den Kaffeeplantagen im entfernten nördlichen Gebiet hörten, wie Gonzalez fortfuhr, den zukünftigen Kampf zu umreißen, auf den er die sandinistische Partei selbst festlegte. "Dies ist eine unterwürfige Regierung", donnerte er. "Wir sind vollständig gegen die Korruption, die die Regierung Bolanos fortführt." Im Besonderen forderte Gonzalez Bolaños dazu auf, zu erklären, wie er ein Gehalt von 20.000 US-$ pro Monat erhalten könne, "mehr als George Bush", während er sein Schwanken fortsetze und sich weigere, sogar die kleinste Erhöhung des Minimallohns für die arme Bevölkerung mit zu tragen.
"Die FSLN", schloss er, "kämpft für ein anständiges Gehalt für alle; für humane Arbeitsbedingungen in den Freihandelsfabriken; für mehr Arbeitsplätze. Die FSLN kämpft gegen die hohen Gehälter nicht nur vom Präsidenten, sondern auch von so vielen seiner Minister und anderen Regierungsfunktionären. Als Ihre Vertreter steht dies auf unserem Banner; dies ist der Kampf, den wir in das gesetzgebende Parlament tragen werden". (La Prensa, 2. Mai)
Bolaños fordert Arbeitsminister auf "sei nicht knickerig"
Während der Versammlung, zu der die Regierung anlässlich des Internationalen Tags der Arbeiter angerufen hatte, um zu feiern, weigerte sich Präsident Bolaños, einen tatsächlichen Betrag festzulegen, um den die Regierung den Mindestlohn der Arbeiter im Land erhöhen wird. Eines war jedoch völlig klar, es gibt keine Möglichkeit, eine Gehaltserhöhung um 100% zu ermöglichen, wie sie von den Gewerkschaften gefordert wird. In der lockeren Stimmung rief der Millionär Bolaños seinen fast genauso gut betuchten Minister für Arbeit, Virgilio Gurdian, dazu auf, "nicht knickerig zu sein. Der Vorschlag, der uns vorliegt", sagte er der kleinen Menge, "liegt bei 3%. Was bedeutet eine Lohnerhöhung von 3% für Sie? Für mich erscheint es als sehr gering. Die nicaraguanische Regierung will, dass es ein bisschen mehr wird für die Beschäftigten."
Gurdian drängte in seinem Gespräch mit Reportern nach dem Ereignis die Frage an den Rand, als er sagte, dass unter Beachtung der Aussagen des Präsidenten dieser keinen konkreten Betrag genannt habe, und er, Gurdian, deshalb keine bestimmte Prozentzahl vorziehen könne. "Es ist die Finanzabteilung, die das letzte Wort hat", sagte er. "Wir müssen innerhalb des allgemeinen Budgets bleiben."
Während die Reichen spielen und possieren und die Gewerkschaften die scheinbar unanständige Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns um 100% für alle 200.000 betroffenen Arbeiter im öffentlichen und privaten Sektor stellen, wäre es selbst bei der Erfüllung der Forderung immer noch keinem Arbeiter möglich, die Basis für ein würdiges Leben für sich und seine Familien zu erreichen. Für Arbeiter in der Landschaft würde eine solche Erhöhung ihrer Einkünfte aus erbärmlichen 615 Cordobas (38,90 US-$) pro Monat die Steigerung auf armselige 1.050 Cordobas (66,46 US-$) bewirken. Den städtischen Arbeitern würde die Erhöhung im endeffekt 2.370 Cordobas (150 US-$) pro Monat bringen. Aktuelle Schätzungen geben die Kosten für Nahrung, Strom und Miete für eine Familie mit vier Personen pro Monat mit etwa 3.500 Cordobas (221,52 US-$) an.
Bolaños rief die Arbeitgeber dazu auf, die Sozialversicherungsbeiträge für ihre Arbeiter "pünktlich und vollständig" zu bezahlen. Wer dies nicht tut, betonte er, war, beraubt sie ihres Rechtes auf Sicherheit im Alter und im Falle eines Unfalls. Er behauptete, dass seine Regierung innerhalb von zwei Jahren etwa 200.000 neue Arbeitsplätze geschaffen habe, 110.000 in der Landschaft; 45.000 in neuen Fabriken innerhalb der Freihandelszonen und 35.000 in Programmen zur Straßenbefestigung. Er konnte jedoch trotz seiner Behauptungen eine Gruppe von Personen in der Menge nicht ignorieren, die ihn konstant durch Zwischenrufe störte und Wohnhäuser forderte. Als Antwort sagte er, dass die Regierung kein Land habe, das dafür verfügbar sei. "Jedoch" fuhr er fort, "dort steht ein großer Bus, der gerade in das Land kam, die ganze Strecke von Alaska her". Er enthält Ausrüstung zur Krebserkennung und besucht alle Weiler und Dörfer von Nicaragua."
Während Gewerkschaftsführer einige Blöcke von ihm entfernt forderten, er solle sein eigenes Megagehalt erklären, bat Bolaños die städtischen Arbeiter, sich gegen die "politischen Parolen" von jenen zu erheben, die das Land ins Elend geführt hätten. "Es sind die gleichen Leute, die sich bereichert haben, jene, die durch ihre schlechte Regierung das Land in Schulden getrieben haben. Sie, diese Leute, die ein flottes Leben führen und die Gesellschaft ausrauben, müssten Opfer bringen und selbst Steuern zahlen." (La Prensa, 2. Mai)
"Liberalismus bedeutet Analphabetentum"
Teilnehmer der Vorbereitung des 25. Jahrestages der Bewegung für eine Alphabetisierungskampagne (ALCM) beschuldigen die Nach-sandinistischen liberalen Regierungen, die Bevölkerung auf das Niveau des Analphabetentums zurückzuführen, wie es während den Jahrzehnten der Somoza Diktatur bestanden habe. Nery Orochena vom ALCM sagte, "es ist eine bewusste Politik der liberalen Regierungen, die Menschen als Analphabeten zu halten. Es ist leider so, dass sie auf diese Art ihren Mitgliedern die unrechtmäßige Bereicherung ermöglichen, weil die Menschen nicht genug wissen, um dagegen vor zu gehen."
"Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist es, dass die nicaraguanische Bevölkerung fast schon wieder zu der Dunkelheit in der Zeit der Somoza-Dynastie zurückgekehrt ist", fuhr sie fort. "Keine der letzten liberalen Regierungen war ernsthaft an der Bildung interessiert. Am Anfang jedes Schuljahres besucht etwa eine Million Kinder im schulpflichtigen Alter nicht die Schule, sie können nicht eingeschult werden; die Folge ist, dass sie von der Bildung ausgeschlossen sind, die ihnen rechtmäßig zusteht. Und wir zählen die hohe Zahl der Studenten dazu, die nach dem Beginn ihres Studiums feststellen müssen, dass sie es nicht fortsetzen können, fast immer aus ökonomischen Gründen. Als der letzte Somoza vertrieben wurde, hatte Nicaragua einen Analphabetenrate von etwa 53%. Diese Zahl beträgt heute schon wieder 40% und wenn es so weitergeht, sind bald 60% der Bevölkerung oder mehr außerstande, zu lesen und zu schreiben."
Sie betonte, dass die kommende Feier des 25. Jahrestags im August 2005 abgehalten werden solle und viel mehr als ein bloßes Gedenken an ein Ereignis in der Geschichte des Landes werden solle. "Jetzt wollen wir damit beginnen, alle kommunalen Verwaltungen dazu zu überreden, in einen permanenten Kreuzzug für die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben einzutreten und auch das Bildungsministerium zu bitten, sich zu beteiligen. Angesichts der entsetzlichen Zahlen muss es ihre absolute Pflicht sein, dies zu tun." (…) (El Nuevo Diario, 29. April)
Dies ist eine auszuweise Übersetzung des Nicaragua News Service Autor: Paul Baker Hernandez.
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Herausgeber der deutschsprachigen Übersetzung: Nicaragua-Forum Heidelberg. Tel.: 06221-472163, V.i.S.d.P.: Rudi Kurz
Übersetzung dieser Ausgabe: Agnes Bennhold, Rudi Kurz.
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